"Den Finger in die Wunde Legen" Ein Gespräch mit Mascha Erbelding, über ein Festival, das so nie geplant war.

Einige Wochen nach dem internationalen Figurentheaterfestival wunder. 2020 haben Annika Mayer und Kathrin Frech mit Mascha Erbelding, der künstlerischen Leiterin des Festivals, ein Interview geführt.

 

Foto: Kathrin Frech

Was ist für Dich das faszinierende am Figurentheater?

Mir gefällt die Abstraktion der Figur und des Theaterobjekts, das den Menschen abbildet, ohne ihm zu ähnlich zu sein, Welt darstellt in der Miniatur und dadurch neue Einblicke ermöglicht.
Besonders faszinierend finde ich immer wieder, wenn eine Figur zum Leben erwacht und ich sie als eigenständig wahrnehme - denn Figurentheater entsteht immer im Kopf des/der Zuschauer*in.
Was mich darüber hinaus am Figurentheater fesselt, ist die ungeheure Vielfalt der Szene, vom traditionellen Marionettentheater zum Spiel mit Robotern oder Elementen von Computerspielen.

Was war dein persönliches Highlight des Festivals?

Ein Highlight, vielleicht sogar für alle Festivals, die ich gemacht habe und in Zukunft kuratieren werde, war "Punch Agathe" auf dem Marienplatz. Als sie aufstand, als sie tanzte, das waren für mich erhebende Momente, die ich trotz Festivalstress auch genießen konnte.

Hast du bezüglich der Corona Situation ein Feedback von den Künstlern bekommen? Wenn ja, wie war es für die Künstler mit den Einschränkungen zu spielen?

Alle Künstler*innen erzählen natürlich von ausgefallenen Auftritten und Premieren, leben oft in großer Unsicherheit - und machen trotzdem immer wieder neue Pläne. Diese Kreativität und diese Energie bewundere ich. Spürbar sind natürlich die veränderten Zuschauerzahlen - das Publikum mit Abstand und Maske reagiert sehr verhalten - das irritiert viele Künstler*innen.

War es schwierig, die Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten?

Nein, Publikum und Künstler*innen und das ganze Team waren sehr diszipliniert.

Was sind deine besonderen Erfahrungen von dem ersten Figurentheaterfestival wunder. in der Corona Edition ? Was war besonders anders ? Gab es Dinge die dich auch positiv überrascht haben?

Die Corona-Pandemie hat alle Vorarbeiten und die Durchführung des Figurentheaterfestivals so massiv beeinflusst und verändert, wie ich mir das selbst im Mai, als man schon ungefähre Vorstellungen von dem Ausmaß der Auswirkungen der Pandemie und der Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung hatte, hätte vorstellen können. Begleitet war die Vorbereitung auch von vielen Zweifeln und Selbstzweifeln. Von der Politik als  "nicht-systemrelevant" angesehen zu werden, führte für mich dazu, die Relevanz unseres Tuns noch einmal zu hinterfragen. Wozu und warum braucht die Gesellschaft (Figuren-)Theater? Unser neuer Festivaltitel wunder. (wunder Punkt) fasst für mich aber ganz gut meine Antwort auf diese Fragen zusammen. (Figuren-)Theater kann den Finger auf Wunden der Gesellschaft legen - und das auf einzigartige, poetische, kreative Weise. Es kann uns uns selbst, unsere Probleme vergessen machen, uns zum Wundern bringen, um uns im Anschluss wieder in die Realität zurückstoßen. Theater lässt uns die Welt mit anderen Augen sehen, neue Perspektiven einnehmen. Und Theater entzieht sich, auch das ist ganz wichtig, einem konkreten (wirtschaftlichen) Nutzen und Nutzdenken, ist Kunst, erlaubt den Menschen Reflexion und das Erleben einer Transzendenz, ist eben nicht nur (aber natürlich auch) Freizeitvergnügen.
Anders war bei diesem Festival auf jeden Fall die große Unsicherheit, ob die Veranstaltungen würden stattfinden können. Und dann das Glücksgefühl im Theater, wenn man dann im Augenblick war, und wieder genau wusste, warum man das alles macht. Anders war auch die sehr emotionale Begegnung mit den Künstler*innen und dem Publikum - noch nie habe ich so viel Dankbarkeit erlebt, und war ich auch selbst so dankbar.
Sehr vermisst habe ich in diesem Jahr den spontanen Austausch am Abend, die Geselligkeit und auch die Gespräche über künstlerische Aspekte. Im Vordergrund standen dann doch die Pandemie und ihre Auswirkungen auf das gesamte Festival und das Figurentheater.
Positiv überrascht haben mich die Veranstaltungen im öffentlichen Raum. Das haben wir wegen des späten Festivalzeitpunkts, dem Herbst, bisher nie gemacht. Hier konnten wir aber ein ganz anderes Publikum erreichen, sodass wir daran im Jahr 2022 unbedingt anknüpfen wollen. Toll fand ich auch den Rückhalt und die Unterstützung von allen Kooperationspartnern und anderen Häusern wie dem FITZ in Stuttgart und der Schaubude in Berlin, unseren Geldgebern und den Mitgliedern der Gesellschaft zur Förderung des Puppenspiels, die sich auch wieder ehrenamtlich engagiert haben.

Warum war es rückblickend die richtige Entscheidung das Festival trotz aller Unsicherheiten stattfinden zu lassen?

Unsere Entscheidung, das Festival nicht zu verschieben, war eine Entscheidung dafür, die Künstler*innen nicht im Stich zu lassen in diesem Jahr. Auch wenn die Engagements in München nicht wirklich über die langen Durststrecken hinweghelfen können, war das zumindest ein Versuch, die Künstler*innen, deren Arbeit wir so bewundern, zu unterstützen. Das ist auf jeden Fall im Sinne des Münchner Publikums - auch das wollten wir nicht im Stich lassen. Die schon erwähnte Dankbarkeit zeigt uns, dass wir da richtig lagen.
Man fragt sich in diesem Jahr natürlich auch: Haben wir womöglich zum Infektionsgeschehen beigetragen? Ich glaube aber, dass wir wirklich alles getan haben, um unsere Veranstaltungen so sicher wie möglich zu machen.

Wie kann sich die Kultur bzw. das Theater verändern um diese Situation der Krise nicht nur zu überleben sondern auch als Chance nutzen zu können?

Eine Antwort auf diese Frage könnte sein, das Theater noch stärker zu allen Menschen und auch zu "kulturfernen" Orten zu bringen, seine Relevanz vor Ort zu beweisen. Theater ist eine so alte Kulturform, sie wird auch diese Krise überleben - aber vielleicht ist es an der Zeit, manche Strukturen neu zu denken, um eben wieder näher an den Menschen zu sein.
Ob uns Theater im digitalen Raum dabei helfen kann - ich bin da momentan noch skeptisch. Aber gerade das Figurentheater in seiner Intermedialität erscheint mir hier prädestiniert, um neue hybride Formen zu entwickeln.

Was erwartet uns bei der nächsten Edition des Figurentheaterfestivals?

Das ursprünglich geplante Thema "Macht Geschichte(n)" verliert auch 2022 nicht an Aktualität - und da warten herausragende Inszenierungen, die wir dieses Jahr nicht zeigen konnten. Ich hoffe, die Künstler*innen spielen sie auch bis 2022.

 

Gespräch vom 13. November 2020

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